Über die Tiroliban
Des Hofers neue Kleider: kritisch-künstlerischer Zugang den Hofer-Mythos als Teil der Tiroler Identitätsbildung zu hinterfragen.
Ziel des Projekts Tiroliban war es, im Jubiläumsjahr 2009 auf die Doppelmoral vieler Tiroler:innen hinzuweisen, die einerseits mit erhobenem Zeigefinger das Regime in Afghanistan kritisierten und andererseits aber den Hofer-Kult unkritisch als Teil ihrer eigenen Identitätsbildung pflegten. Und das, obwohl es zwischen den moralisch-ideologischen Vorstellungen des dortigen Regimes und den Tiroliban viele Parallelen gibt: Beide Systeme beruhen auf patriarchal-autoritären Strukturen mit religiöser (abrahamitischer) Umrahmung und nationalistischem Interesse, beide sind reaktionär und fortschrittsfeindlich. Auf der einen Seite herrscht eine radikalislamische Moral, die geschlechtliche Gleichstellung bekämpft und den paschtunischen Nationalismus betont, auf der anderen eine erzkatholische Moral, die ebenfalls Frauen unterdrückt und einen Tiroler Nationalismus verfolgt ("Tirol isch lei oans"/"Dem Land Tirol die Treue"). Auf der einen Seite wird die weibliche Bevölkerung verhüllt, auf der anderen genau das Gleiche: Unter der Regentschaft Hofers wurde Frauen in Innsbruck etwa das Haar abgeschnitten, wenn sie es offen trugen. Das Verhüllungsgebot für Frauen ist Teil der Tiroler Geschichte.
Der Regime-Vergleich ist bewusst provokant gewählt und dient nicht einer Gleichsetzung, sondern der Sichtbarmachung struktureller Ähnlichkeiten.
Heute ist das Ziel des Projekts weiterhin, Tiroler:innen über das Mittel der Provokation anzuregen, ihre mythen-basierte Identitätskonstruktion kritisch zu hinterfragen:
Hofer ist zweifelsohne eine bedeutende Figur der Tiroler Geschichte und verkörpert für viele den Widerstand gegen Fremdherrschaft und die Verteidigung traditioneller Werte. Gleichzeitig war seine Ideologie stark autoritär und reaktionär. Die Unterdrückung von Frauen, religiöse Intoleranz und die gewaltsame Durchsetzung von moralisch-religiösen Normen gehören zu den weniger glorifizierten Aspekten seiner Herrschaft.
Die Verehrung Hofers in Tirol ist meist unkritisch und blendet die problematischen Seiten seiner Herrschaft aus. Die Verherrlichung eines "heroischen Widerstands" verdeckt dabei die Tatsache, dass dieser Widerstand auf sehr konservativen und autoritären Prinzipien beruhte. Stichworte: Verfechter des absolutistischen Habsburgerreichs; Gegner jeglicher Liberalisierung oder Modernisierung; Bekämpfung von Ideen wie Menschenrechten, Verfassungen oder Säkularisierung; harte Bestrafungen bei "Unsittlichkeit"; Ablehnung von Minderheitenrechten und der Pockenimpfung ("Schafblattern"), usw.
Die Ablehnung der Impfung steht dabei sinnbildlich für Hofers generelle Abneigung gegen die Moderne und den wissenschaftlichen Fortschritt, die er als Bedrohung für die traditionellen religiösen und sozialen Strukturen empfand. Seine Haltung in dieser Frage passt also zu seinem reaktionären Widerstand gegen jede Form von Neuerung, die nicht im Einklang mit seinem tief verwurzelten Glauben und seiner konservativen Ideologie stand.
Unzulässiger Vergleich? Es ist wichtig anzumerken, dass historische Vergleiche stets vorsichtig und kontextualisiert gemacht werden sollten: Die Situationen in Afghanistan und in Tirol während der napoleonischen Kriege sind sehr unterschiedlich, sowohl in ihren historischen Rahmenbedingungen als auch in den gesellschaftlichen und politischen Kontexten. Der Ansatz, Parallelen zwischen beiden Regimen zu betonen, dient jedoch dazu, eine Doppelmoral oder selektive Kritik zu entlarven. Denn die durchaus vergleichbare Denkweise in Tirols Geschichte wird hierzulande immer noch unkritisch romantisiert.
Wer über die verklärte Tiroler Geschichte, die Instrumentalisierung Hofers und seinen Mythos mehr lesen will, der/dem empfehle ich: „Des Hofers neue Kleider. Über die staatstragende Funktion von Mythen“ von S. Steinlechner (Studienverlag, 2000). Darin wird etwa erläutert, warum Hofer keineswegs als Nationalheld gelten kann. Er war ein Spielball der Mächte und wurde unter anderem von der Kirche (Haspinger & Co) instrumentalisiert. Nach seinem Tod wurde er immer wieder politisch benutzt: „Mit dem Aufstieg der Deutschnationalen in Tirol wurde er zur Figur des nationalen Widerstandes verklärt [...]. Von den Nationalsozialisten wurde Andreas Hofer wiederum als Verteidiger des Deutschtums gegen Italien und Frankreich ins Spiel gebracht, Bozen als Mythos der 'letzten deutschen Stadt' aufgebaut, die von Hofer verteidigt worden sei.“
Das übergeordnete und vermutlich unerreichbare Ziel dieses Projekts ist eine Korrektur der verklärten Tiroler Geschichts-Wahrnehmung. Dafür gilt es die Apotheose Andreas Hofers zu erkennen (vergleiche zum Beispiel Jesus oder Kim Il-Sung), den Mythos der auf sogenannter „Pseudogeschichte“ basiert (welche für politische oder legitimatorische Zwecke verwendet wurde) zu dekonstruieren (Prozess der Entmythologisierung) und somit - am Ende dieses Prozesses, den jede/r für sich selbst durchlaufen kann - der Person Andreas Hofer gerecht zu werden.
Die Tiroliban (R) in stolzer Tradition seit 2009